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Wege aus der Depression (Teil 1)

 

Anregungen und Tips für Betroffene - Zusammengestellt von Dr. Dr. med. Herbert Mück (Köln)

 

Die Erkrankung ernst nehmen

Zögern Sie nicht, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn Sie unter einer Depression bzw. den im folgenden genannten Symptomen leiden. Denn eine Depression ist eine echte Erkrankung des gesamten Menschen und nicht bloß eine Befindlichkeitsschwankung oder gar ein Simulieren. Eine „Depression“ zeichnet sich aus durch Veränderungen

·      des Erlebens (Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Kränkung, Versagung, Frustration),

·      des Denkens (Katastrophenvorstellungen, negative Verallgemeinerungen),

·      des Verhaltens bzw. Antriebs (sozialer Rückzug, Inaktivität) und

·      des Körpers (Nervosität, Schlafstörungen, Herzbeschwerden usw.).

Eine schwere Depression kann das ganze Leben verändern, die Umwelt einbeziehen und in Extremfällen zu Selbstmordgedanken und -tendenzen führen. Die medizinische „Depression“ ist von dem in der Umgangssprache gebräuchlichen Begriff zu unterscheiden, der unter anderem auch ein vorübergehendes Stimmungstief (ohne Krankheitswert) beschreibt.

 

Die Depression verstehen

Interpretieren Sie die Depression als eine fundamentale Erschöpfung, wie sie sich auch mit dem Bild des „Nervenzusammenbruchs“ bzw. des Gefühls „mit den Nerven am Ende zu sein“ beschreiben läßt. Dieser Zustand hat nichts mit einer „Verrücktheit“, einem „Hirnabbau“ oder einem Verschulden auf seiten des Betroffenen oder seiner Angehörigen zu tun. Auf körperlicher Ebene findet sich beispielsweise häufig ein Mangel an sog. Botenstoffen, die Informationen im Nervensystem übertragen. Es gibt Experten, die in der Depression sogar eine vernünftige Reaktion erkennen, mit der sich der Betroffene in Form einer Erstarrung vor Selbstschädigung schützt und gleichzeitig die Umwelt um Hilfe bittet.

 

Den Haus- oder Facharzt aufsuchen

Beschreiben Sie Ihrem Haus- oder Facharzt möglichst bald alle (!) Ihre Symptome (insbesondere auch die seelischen und solche, die Tabus betreffen, wie etwa Sexualität). Scheuen Sie sich nicht, auch Selbstmordgedanken anzusprechen. Befreien Sie sich von dem Vorurteil, seelische Erkrankungen seien ein Ausdruck von Schwäche. Äußern Sie unumwunden Ihren Verdacht, wenn Sie selbst eine Depression als Ursache Ihrer Beschwerden vermuten. So gewinnen Sie wertvolle Zeit und ersparen sich unnötiges Leid, da sich Depressionen sehr gut behandeln lassen. Gleichzeitig vermeiden Sie unnötige Untersuchungen und Fehlbehandlungen, die oft kostspielig und mitunter riskant sind. Ihr behandelnder Arzt weiß, daß Depressionen weder eine „Modeerscheinung“ sind, noch Ausdruck von Faulheit oder Unwillen. Er sieht in diesen ernst zu nehmende Erkrankungen, die sich manchmal hinter körperlichen Symptomen geschickt verbergen.

 

„Sinn“ und Grund einer Depression erkennen

Depressionen lassen sich als lang anhaltende Verlust-, Kränkungs- und Trotzreaktionen verstehen, bei denen die Gedanken um Enttäuschung, Wut und Trauer kreisen. Die Betroffenen leiden unter einem stark beeinträchtigten Selbstwertgefühl („Nichts-wert-Sein", "Nichts-Können") und sind emotional überbedüftig (nach Zuwendung, Verständnis, Liebesbeweisen und symbiotischer Nähe). Sie wagen es nicht, ihre Wünsche, Phantasien oder Erwartungen anderen Menschen auf direkte Weise mitzuteilen. Auch wenn manchmal ein besonderer Schicksalsschlag als Auslöser erscheint (Verlust, Kränkung, Scheitern von Plänen und Lebensmöglichkeiten), sind viele Depressionen das Endergebnis einer langen Kette von Belastungen, bei denen der letzte Tropfen das Faß zum Überlaufen bringt. Depressive Menschen beklagen meist einen „Mangel“ (oft in Form von Zuwendung und echter Wertschätzung). Dieser kann von Familienangehörigen und Therapeuten nicht nachträglich in Form einer „Wiedergutmachung“ ausgeglichen werden. Soweit es eine Lösung gibt, besteht sie meist darin, das Fehlende zu betrauern und es durch eigenes (neues) Verhalten zu ersetzen. Man kann die Depression auch als eine Aufforderung verstehen, bislang ungelebte Möglichkeiten künftig zu realisieren (sich persönlich zu entfalten, unabhängiger zu werden, zu genießen usw.).

 

Gesellschaftlichen Hintergrund einbeziehen

Depressionen haben vermutlich nicht nur körperliche und psychologische Ursachen; auslösend und fördernd können auch gesellschaftliche Bedingungen sein. Zu diesen gehören

·      Veränderungen im Beziehungsverhalten der Menschen (zunehmende Vereinzelung, hohe Scheidungsraten),

·      das Aufweichen klassischer Rollenverteilungen (die Verhaltenssicherheit gewährleisteten) und

·      eine verringerte Frustrationstoleranz sowie häufige Enttäuschungen, die mit Ohnmachtsgefühlen einhergehen (weil sich die durch die Medien genährte Erwartung nicht bestätigt, daß sich alle Probleme schnell und bequem lösen lassen).

 

Hoffnung schöpfen und bewahren

Auch wenn Sie momentan alles schwarz sehen, dürfen Sie darauf vertrauen, daß Sie eine mittlerweile sehr gut zu behandelnde seelische Erkrankung haben. Unzählige Menschen haben es vor Ihnen geschafft, diese Belastung erfolgreich zu bewältigen.

 

Geduld bewahren

Depressionen kommen und gehen selten aus heiterem Himmel. Oft haben sie eine längere Vorgeschichte und münden in ein Gefühl völligen Erschöpftseins bzw. großer Leere. Ungünstige Denkgewohnheiten, starre Verhaltensmuster und einseitige Erwartungen der Umwelt halten die Depression beharrlich am Leben. So wie man einen leeren Tank allmählich auffüllt, braucht es auch bei der Depression Zeit, bis durch Medikamente und Verlernen kraftverzehrender Verhaltensweisen wieder ausreichend Energie zur Verfügung steht. „Blitzheilungen“ von Dauer sind die seltene Ausnahme und lassen an der Richtigkeit der Diagnose „Depression“ eher zweifeln. Tanken Sie Kraft aus der Erkenntnis „Langsam vorwärts zu kommen, ist besser, als gar nicht vorwärts zu kommen“.

 

Sich Entlastung gönnen und depressiv sein dürfen

Schützen Sie sich vor eigenem und fremdem Druck. Machen Sie sich bewußt, daß depressive Menschen meist hohe Erwartungen an sich selbst richten. Oft handelt es sich um Perfektionisten, die alles 200prozentig machen wollen und sich unter massiven Leistungsdruck stellen. Diesen Streß verstärkt die Umwelt durch passende Appelle wie „Reiß Dich doch zusammen“. Verstehen Sie also Ihre seelische Erkrankung als klare Aufforderung, sich von krankmachenden Verhaltensmustern, Einstellungen und Streßquellen zu befreien. Akzeptieren Sie, daß Sie zur Zeit vielen Anforderungen einfach nicht mehr genügen können, und erlauben Sie sich selbst ausdrücklich, depressiv zu sein (zu klagen, zu weinen usw.). Gönnen Sie sich eine vorübergehende Krankschreibung, um Kraft zu tanken und Ihren Lebensstil in Ruhe zu verbessern. Manchmal kann ein Krankenhausaufenthalt der beste Weg sein, dem inneren und äußeren Streß zu entfliehen. „Sich Entlastung gönnen“ heißt nicht, daß Sie sich ab jetzt im Bett verkriechen und rundum versorgen lassen sollten. Für den Anfang ist dies in Ordnung. Auf Dauer werden Sie aber mehr davon haben, wenn Sie sich dafür einsetzen, wieder leistungsfähiger sowie körperlich und psychisch belastbarer zu werden.