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Zwillingsforschung: Gibt es eine prämorbide Parkinson-Persönlichkeit?

Von Prof. Dr. med. Hans-Peter Ludin, Direktor der Abteilung für Neurologie, Kantonsspital St. Gallen, Schweiz, Präsident des fachlichen Beirats der Schweizerischen Parkinsonvereinigung

     Die Frage, inwieweit sich jemand schon vor der Manifestierung eines Parkinson-Leidens durch psychische Besonderheiten auszeichnet, beschäftigt nach wie vor die Forschung. So wollen manche Experten festgestellt haben, daß künftige Parkinson-Patienten weniger gesprächig und flexibel sind, dafür aber großzügiger, gleichmütiger, vorsichtig, überkontrolliert und depressiv. Diese Eigenschaften werden zumindest teilweise mit „subklinischen“ zerebralen Schädigungen in Zusammenhang gebracht.

    Eine vor kurzem von unserer deutsch-schweizerischen Forschungsgruppe abgeschlossene Zwillingsstudie versuchte zu klären, inwieweit es tatsächlich ein über die motorischen Phänomene hinausgehendes Parkinson-Syndrom gibt. An der Untersuchung beteiligten sich 15 Zwillingspaare mit einem Durchschnittsalter von 62,5 Jahren (sechs eineiige und neun zweieiige Paare) sowie 17 gesunde etwa gleichaltrige Kontrollpersonen. Als Untersuchungsinstrumente dienten das Freiburger Persönlichkeits-Inventar (FPI-R), die Depressivitätsskala (D-S) und die Befindlichkeitsskala (Bs-S).

     Die Auswertung ergab, daß die Parkinson-kranken Zwillinge im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ nach FPI-R weniger leistungsorientiert und extravertiert, dafür aber gehemmter, stärker unter somatischen Beschwerden leidend und emotional labiler waren. Im Vergleich zu ihren gesunden Geschwistern wie auch zu den Kontrollpersonen litten sie vermehrt unter Depressivität und schlechtem Befinden. Im Verhältnis zu den zweieiigen Zwillingen waren eineiige weniger leistungsorientiert, aggressiv und „im Streß“. Im Vergleich zu den normalen Kontrollpersonen zeichneten sich monzygote Zwillinge ebenfalls durch geringere Leistungsorientierung, zusätzlich aber auch durch eine geringere Extraversion (Geselligkeit) und durch vermehrte körperliche Beschwerden aus. Im Hinblick auf das Merkmal „soziale Orientierung“ waren die Unterschiede innerhalb eines eineiigen Zwillingspaares weniger stark ausgeprägt wie innerhalb eines zweieiigen. Insgesamt neigten die späteren Parkinson-Patienten vor dem Krankheitsausbruch weniger dazu, innerhalb des Zwillingspaars die Führerrolle zu übernehmen.

    Diese Ergebnisse (insbesondere das Kriterium „Führerschaft“) sind mit dem Konzept einer prämorbiden Parkinson-Persönlichkeit durchaus vereinbar. Einige Befunde (wie die geringe Leistungsorientierung und Aggressivität) passen zu der eingangs zitierten Beschreibung wie auch zu der Beobachtung, daß Parkinson-Kranke weniger daran interessiert sind, nach Neuem zu suchen. Für die zuletzt genannte Eigenschaft macht man Dopamin verantwortlich, dessen Mangel bei Parkinson-Kranken dann auch deren Desinteresse erklären würde.

    Die erhöhte Depressivität Parkinson-Kranker allein muß kein Merkmal der Grunderkrankung sein, da auch andere chronische Leiden von Depression begleitet werden. Auffällig ist jedoch, daß beide Zwillingsgruppen insgesamt im Durchschnitt erheblich höhere Depressionswerte erzielten als die Kontrollpersonen. Dies paßt zu der Beobachtung, daß Verwandte von Parkinson-Kranken häufiger depressiv sind. Inwieweit dies auf Störungen des Dopaminstoffwechsels außerhalb des nigrostriatalen Systems rückschließen läßt, läßt sich derzeit noch nicht sagen.

Vertiefend I. Heberlein, H.-P. Ludin, J. Scholz, P. Vieregge: Personality, depression, and premorbid lifestyle in twin pairs discordant for Parkinson´s disease. J. Neurol. Neurosorg. Psychiatry 1998 (64) 262-266