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Auch Kinder erkranken depressiv!

Von Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Universitätsklinikum Aachen

     Lange war umstritten, ob Kinder überhaupt depressiv erkranken können. Zusätzlich diskutierte man vor allem in den USA, ob sich die kindliche und erwachsene Depression völlig gleichen. Heute bezweifelt keiner mehr, daß Kinder ebenfalls von Depressionen betroffen sind. Allerdings drücken sich diese altersentsprechend und kindgemäß aus. Differentialdiagnostisch ist vor allem die Frage wichtig, wodurch sich kindliche Depressionen von “natürlichen” Trauerreaktionen unterscheiden. Hier gilt, daß depressive Episoden durch eine längere Dauer, Störungen der Alltagsfunktionen und vitale Beeinträchtigungen gekennzeichnet sind.

    So beträgt die Dauer einer ersten depressiven Episode bei 8- bis 13jährigen Kindern durchschnittlich 3 bis 9 Monate. Im Falle einer Dysthymie erstrecken sich die Symptome über durchschnittlich 4 Jahre. Bei der Alltagsbewältigung finden sich Störungen in Beziehungen zu Gleichaltrigen, Eltern und Lehrern. Dabei zeigen depressive Kinder im Vergleich zu Erwachsenen auch extroversive Störungen, wie körperliche Aggressivität, Unruhe, Unaufmerksamkeit und Ungehorsam. Außerdem sind vielfach die Schulleistungen beeinträchtigt. Aus vitaler Sicht leiden Kinder nicht selten unter Appetitstörungen, Gewichtsverlust und Schlaflosigkeit.

     Die Prävalenz erhöht sich von 0,5 bis 2,5 Prozent im Kinderalter auf 2 bis 8 Prozent im Jugendalter. Während unter den Kindern mehr Jungen als Mädchen an depressiven Störungen erkranken, kehrt sich das Verhältnis ab der Pubertät um. Hormonelle Veränderungen, genetische Faktoren und eine erhöhte Rate von negativen Lebensereignissen werden dafür verantwortlich gemacht. Da Depressionen im Kindes- und Jugendalter außergewöhnlich häufig mit anderen psychiatrischen Störungen einhergehen, fragt sich, ob es die “reine kindliche Depression” überhaupt gibt. Zu den häufigsten Begleitstörungen gehören mit 30 bis 70 Prozent die schon im frühen Kindesalter einsetzenden Angsterkrankungen und mit 20 bis 80 Prozent die mehr im mittleren Kindesalter beginnenden externalisierenden Störungen (wie hyperkinetisches Syndrom, dissoziale Störungen und Substanzabusus).

Foto: Prof. Dr. Beate Herpertz-Dahlmann

    Auslöser einer Depression sind offenbar Triggerfaktoren (in Form belastender Lebensereignisse) in Kombination mit Vulnerabilitätsfaktoren. Zur Vulnerabilität tragen familiäre Einflüsse (affektive Erkrankung der Eltern), problematische Verarbeitungsmuster negativer emotionaler Erfahrungen und ungünstige Coping-Strategien (Vermeiden, Zerstören, Grübeln statt Problemlösen oder Ablenken) bei. Neben genetischen Faktoren spielt auch die Lerngeschichte eine wichtige Rolle. So üben depressive Mütter mehr Kritik an ihren Kindern. Sie gehen weniger entscheidungsfreudig, warmherzig und engagiert mit ihren Kindern um als gesunde Mütter.

    Leider gibt es zur Therapie kindlicher Depressionen bislang nur wenige kontrollierte Studien. Nichtmedikamentöse Behandlungsstrategien sind: den Patienten zu aktivieren, Problemlösefähigkeiten zu entwickeln, Selbstkontrollmethoden zu erlernen, negative Denkprozesse zu vermindern, die Spannbreite emotionalen Erlebens zu entdecken und die soziale Kompetenz zu verbessern. Medikamentös kristallisieren sich die modernen Antidepressiva (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) als Mittel der Wahl heraus.

Nach einem Vortrag auf dem Interdisziplinären Forum “Fortschritt und Fortbildung in der Medizin” am 22.01.1999 in Bonn