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Standard der

Depressionstherapie

Von Prof. Dr. med. Jürgen-Christian Krieg,

Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Philipps-Universität Marburg

 

   Depressionen gehören zu den gut behandelbaren seelischen Erkrankungen. Diesem erfreulichen Aspekt stehen zahlreiche problematische Gesichtspunkte gegenüber, wie die hohe Suizidrate (bis zu 15 Prozent), die noch immer unzureichende Akzeptanz des Krankheitsbildes in der Öffentlichkeit und eine erhebliche Rezidivquote.

   Die moderne Klassifikation depressiver Störungen unterscheidet im wesentlichen zwischen einer depressiven Episode, einer Dysthymie als Ausdruck einer chronischen depressiven Verstimmung und einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik, die im engen Zusammenhang mit einer psychosozialen Belastung auftreten kann. Treten wiederholt depressive Episoden auf, so handelt es sich um eine rezidivierende depressive Störung, wechseln depressive mit manischen Episoden ab, so liegt eine bipolare affektive Störung vor.

     Grundsätzlich orientiert sich das therapeutische Vorgehen am Schweregrad der Erkrankung. So sprechen leicht bis zu mittelschwer ausgeprägte depressive Episoden und die Dysthymie häufig gut auf Kognitive Verhaltenstherapie oder Interpersonelle Psychotherapie an. Hierbei konzentriert sich die Kognitive Verhaltenstherapie auf typisch depressive Gedankeninhalte, Vorstellungen und Wahrnehmungen, während die Interpersonelle Psychotherapie auf die sozialen Bezüge des Patienten fokussiert. Bei Anpassungsstörungen mit depressiver Symptomatik genügt oft das stützende ärztliche Gespräch, um dem Patienten über die belastende psychosoziale Situation hinwegzuhelfen. Je schwerer die depressiven Symptome ausgeprägt sind, um so mehr rückt die psychopharmakologische Behandlung in den Vordergrund.

    Die letztgenannte umfaßt drei Phasen: die Akutbehandlung, die Erhaltungstherapie und die Rezididivprophylaxe. Heute gilt als Standard, daß sich an eine erfolgreiche Akuttherapie eine mindestens 6monatige Erhaltungstherapie anschließt. Die Notwendigkeit einer Erhaltungstherapie stützt sich auf die Beobachtung, daß das Rückfallrisiko im ersten Jahr nach einer Remission deutlich erhöht ist und daß jedes Rezidiv weitere Episoden wahrscheinlicher macht. Die anschließende Rezidivprophylaxe kann sich gegebenenfalls über Jahre oder das ganze Leben erstrecken. Damit wird deutlich, daß Depressionsbehandlungen durchweg langfristig angelegt sind und entsprechende Behandlungsbereitschaft und Mitarbeit des Patienten erfordern.

    Für die Akutbehandlung stehen heute Substanzen mit unterschiedlichen pharmakologischen Profilen, aber weitgehend identischer Wirksamkeit zur Verfügung. Während die trizyklischen Antidepressiva als „Klassiker“ im Ausland bereits an Bedeutung verlieren, konkurrieren sie in Deutschland noch mit Monoaminoxidasehemmern, den neuen, nebenwirkungsärmeren, selektiv wirkenden Substanzen (wie z.B. den selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Aufnahmehemmern) und pflanzlichen Antidepressiva.

    Bessert sich die Depression unter dem zuerst gewählten Antidepressivum nicht innerhalb von 14 Tagen, sollte man zunächst die Dosis innerhalb des jeweiligen therapeutischen Bereichs steigern. Bleibt der Zustand auch nach weiteren vier Wochen weitgehend unverändert, ist auf ein Antidepressivum mit anderem pharmakologischen Wirkprinzip zu wechseln. Bei Therapieresistenz bieten sich zusätzlich auch Kombinationen der antidepressiven Medikation mit Schlafentzug, Lithium oder Schilddrüsenhormonen an. Vor allem für den Facharzt besteht weiterhin die Option, unterschiedliche Antidepressiva zu kombinieren. Kliniken haben meistens auch noch die Möglichkeit der Elektrokrampftherapie.

    Die Erhaltungstherapie sollte möglichst mit dem bereits bewährten Antidepressivum erfolgen, wobei sich diejenige Dosierung empfiehlt, unter der die Vollremission eintrat. Ob man sich anschließend auch noch für eine jahre- bis lebenslange Rezidivprophylaxe entscheidet, hängt von mehreren Faktoren ab. Zu ihnen gehören die Anzahl vorausgegangener Episoden, deren Polarität, das Ersterkrankungsalter, bisherige Suizidhandlungen sowie die familiäre Belastung mit affektiven Störungen. Für die Rückfallprophylaxe rezidivierender depressiver Störungen empfiehlt sich entweder die Fortführung der Antidepressivamedikation, die bei der Erhaltungstherapie zum Einsatz kam, oder die Gabe von Lithium. Im Falle bipolarer affektiver Störungen kommen zur Rezidivprophylaxe Lithium, Carbamazepin oder Valproat zum Einsatz.

 

Nach einem Vortrag auf dem Interdisziplinären Forum „Fortschritt und Fortbildung in der Medizin“ am 22.01.1999 in Bonn