von
Prof. Dr. med. Eberhard Schulz, Ärztlicher Direktor der Abteilung für
Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter, Universitätsklinikum
Freiburg
Bei Jugendlichen dauern
depressive Syndrome im Durchschnitt 7,5 Monate. Damit sind sie wesentlich
langwieriger, als man bisher vermutete. Je früher im Leben die Depression
einsetzt, zu um so längerem Verlauf tendiert sie. Nach einer Remission
erleiden 72 Prozent der Kinder innerhalb von 5 Jahren einen Rückfall.
Hinzukommt, daß sich aufgrund der depressiven Episoden nachhaltige
psychosoziale Defizite einstellen, die die Betroffenen im weiteren Leben
beeinträchtigen. Im Jugendalter beträgt die Einjahresinzidenz
depressiver Symptome 7,7 Prozent, wobei Mädchen bei weitem häufiger
betroffen sind. Das klinische Bild der Depression wandelt sich beim Übergang
vom Kindes- zum Jugendalter (siehe Tabelle).
Kleinkinder
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Schulkinder
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Adoleszente
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reaktive Bindungsstörungen
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reaktive Bindungsstörungen
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Grübelsucht
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Spielschwäche
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Kontaktstörungen
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Suizidgedanken
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Weinen/Schreien
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Agitiertheit
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Suizidversuch
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Traurigkeit
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Traurigkeit
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Stimmungs-schwankungen
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Fütterstörungen
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sozialer Rückzug
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sozialer Rückzug
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Trennungsängste
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Trennungsängste
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Hypochondrie
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Schlafstörungen
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Schlafstörungen
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Schuleschwänzen
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Habituelle
Verhaltensweisen
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gestörtes
Sozialverhalten
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gestörtes
Sozialverhalten
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Gedeihstörungen
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Lern- und
Leistungsstörungen
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Lern- und
Leistungsstörungen
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Hilfs- und
Hoffnungslosigkeit
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Tabelle:
Differentialsymptomatik depressiver Symptome im Kindes- und Jugendalter
Wenn Jugendliche in ihrem Leben eine Depression durchlitten haben,
erfüllen sie in rund 40 Prozent der Fälle auch die Kriterien einer
weiteren psychischen Erkrankung. Besonders häufig handelt es um Angst-
und Eßstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Dissozialität und
Drogenkonsum. Wenn Depressionen gleichzeitig mit anderen psychischen Störungen
auftreten, sind sie eher Folge (80 Prozent) als Vorläufer (20 Prozent)
des anderen Leidens. Zwar remittieren die meisten depressiven Episoden
Jugendlicher im Verlauf von ein bis zwei Jahren. Immerhin 6 bis 10 Prozent
verlaufen aber chronisch.
Schwere depressive Syndrome
beeinträchtigen Jugendliche nicht nur affektiv, sondern auch kognitiv
erheblich. Darunter leiden Schule, Ausbildung und die Entwicklung
sozialadaptiver Fähigkeit, wobei die einmal entstandenen psychosozialen
Defizite selbst nach einer Remission oft jahrelang anhalten.
Die Komplexität und
multikausale Genese depressiver Syndrome Jugendlicher erfordern eine
multimodale Therapie, die auf den Jugendlichen und seine Familie
gleichermaßen abgestimmt ist. Je nach Symptomschwere können
psychotherapeutische und pharmakologische Maßnahmen gleich bedeutsam
sein. Psychotherapeutisch haben sich bei depressiven Syndromen weitgehend
verhaltenstherapeutische Maßnahmen durchgesetzt. Sie beinhalten folgende
Elemente: Aufbau einer tragfähigen Beziehung, kurzfristig entlastende Maßnahmen,
Förderung angenehmer verstärkender Aktivitäten, Verringerung
belastender Aktivitäten und Strukturen, Förderung und Entwicklung
sozialer Fertigkeiten und Kontakte, Veränderung einseitiger Wahrnehmungs-
und Bewertungsmuster. Flankierend sind die Eltern sowie das schulische
oder berufliche Umfeld einzubeziehen. Die soziale Integration der
Jugendlichen in die Gruppe Gleichaltriger sollte verbessert werden.
Nach
einem Vortrag auf dem Interdisziplinären Forum „Fortschritt und
Fortbildung in der Medizin“ am 22.01.1999 in Bonn
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