Frankreich. Auf
unerwartete Aufmerksamkeitsreserven Depressiver stießen P. Thomas und
Kollegen in einer kontrollierten Studie. Diese überprüfte bei 10
Patienten während und nach einer Major Depression, wie gut sich die
Betreffenden auf einfache und komplexere Reiz-Reaktionsaufgaben
konzentrieren können. 10 gesunde Personen dienten als Kontrolle.
Überraschenderweise war es den
Patienten während ihrer Depression möglich, beim Wechsel von einer
einfachen auf eine komplexere Aufgabe (= zusätzliches Zählen der Reize)
ihr Leistungsvermögen zu steigern. Dies gelang ihnen später in
remittiertem Zustand nicht mehr und war auch Kontrollpersonen nicht möglich.
Dagegen verschlechterte sich das Leistungsvermögen im depressiven Zustand
massiv, als zusätzlich gefordert wurde, zwischen unterschiedlichen Reizen
zu unterscheiden und verschiedene Knöpfe zu betätigen. In remittiertem
Zustand und bei den Kontrollpersonen war der Leistungsabfall
vergleichsweise geringer.
Thomas und Kollegen folgern aus
ihren Befunden, dass depressive Patienten keineswegs global
„verlangsamt“ oder in ihren kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt
sind. Im Gegenteil: Bei geeigneten Aufgaben können Depressive sogar ihr
Leistungsvermögen steigern. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sie
sich dann „Aufmerksamkeitsreserven“ erschließen, die bislang durch
andere Prozesse des depressiven Zustands gebunden waren. Erst wenn
Entscheidungen gefordert und mehrere Sinneskanäle angesprochen werden,
kommt es zu massiven Leistungsabfällen. Die Zusammenhänge dürften somit
weitaus komplexer sein, als man bisher annahm.
P. Thomas u.a.: Attentional resources in major
depression. Eur.
Arch. Psychiatry Clin. Neurosci. 1999 (249) 79-85
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