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Dement durch Gedächtnisüberfrachtung?

Großbritannien. Verringerter Fernseh- und Video-Konsum sowie der Verzicht auf „gedächtnissteigernde“ Medikamente könnten sich als wirksame Strategien zur Demenz-Vorbeugung erweisen, wenn sich eine These von R. P. Clarke bestätigt. Nach Ansicht des Autors sind Demenzen das Ergebnis einer Gedächtnisüberladung. Die Vorstellung von „unendlichen Reservekapazitäten“ sei ein Mythos, meint Clarke. Denn einen solchen Luxus könne sich die Natur nicht leisten, zumal das Gehirn bis zu einem Viertel der aufgenommenen Energie verbrauche.

    Für seine Theorie der Speichererschöpfung führt der britische Wissenschaftler Befunde an, denen zufolge Alzheimer-Kranke Informationen in atypischen Hirnbereichen ablegen. Dies sei ein Ausdruck zerebraler Anpassungsleistungen, bei denen sich das Gehirn noch vorhandene freie Speicherplätze erschließt. Ähnlich wie bei einer vollen Computer-Speicherplatte braucht ein solches Gehirn dann allerdings auch länger, um Informationen wieder aufzufinden.

    Dass Demenzen anfänglich besonders das „deklarative“ Gedächtnis (sprich das Faktenwissen) beeinträchtigen, spricht ebenfalls für die besagte These: Denn die moderne Informationsflut betrifft weniger unsere Verhaltenskompetenzen (in vielen Berufen genügt das Betätigen von Knöpfen!) als das Merken einer Fülle mehr oder weniger wesentlicher Fakten. So könnte sich erklären, warum „prozedurales Wissen“ (= unbewusstes Handlungswissen) Demenz-Kranken relativ lange zur Verfügung steht. Auch der Umstand, dass Menschen mit umfangreichem Wissen Demenzen nicht häufiger entwickeln, sprengt keineswegs die Hypothese. Vermutlich sind solche Personen in der Lage, Informationen besonders effizient zu speichern. Hinzu kommt, dass das Gehirn bei der 20-minütigen Lektüre eines anspruchsvollen wissenschaftlichen Textes nur einen Bruchteil derjenigen Informationsmenge zu bewältigen hat wie bei einer 20-minütigen typischen Fernsehsendung. Die Tatsache, dass Demenzen in Entwicklungsländern eher selten sind, führt Clarke ebenfalls zugunsten seiner These an. Schließlich passen auch der parallele Verlauf der Informations- und Demenzlawine sowie der offenbar vor Demenz schützende Einfluss einfacher Tätigkeiten (wie Gartenarbeit und Stricken) in das Bild der „Gedächtnisüberfrachtung“.

    Selbst für die Beobachtung, dass besonders Hippokampus und Amygdala von den typischen organischen Veränderungen der Alzheimer-Demenz („Fibrillen“) betroffenen sind, weiß Clark eine Erklärung: Die erwähnten Hirnregionen speichern zwar nicht selbst „deklaratives Wissen“, sie gleichen aber dem Informationsverwaltungsprogramm einer Bibliothek, das neue Informationen klassifiziert und vorhandenen Wissensbeständen zuordnet. Dazu würde passen, dass es vielen älteren Menschen immer schwerer fällt, neue Konzepte („Klassifikationen“) zu übernehmen bzw. zu bilden, während sie sich vertraut erscheinende Dinge weiterhin merken können. Möglicherweise sind die Speicher von Hippocampus (kognitive Klassifikationen) und Amygdala (emotionale Klassifikationen) besonders schnell erschöpft. Nicht zuletzt die Strategie moderner Medien, durch Sensationen Aufmerksamkeit zu erheischen, könnte somit die Kapazitäten emotionaler Gedächtnisverwaltung rascher erschöpfen und damit demenzfördernd sein.

    Rückenstärkung erhält Clarkes These neuerdings durch Gehirnstudien mittels PET. Sie belegen, dass Gedächtnisaufgaben bei älteren Personen weitaus mehr unterschiedliche Gehirnbezirke aktivieren als bei jüngeren (zitiert nach Larkin 2001).

R. P. Clarke: Does longer-term memory storage never become overloaded, and would such overload cause Alzheimer´s disease and other dementia? Medical Hypotheses 2000 (55) 419-428; M. Larkin: Ageing brains put both hemispheres to work on complex tasks. Lancet 2001 (358) 644