von Prof. Dr. med. Peter
Joraschky, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Universität
Dresden
Um es vorwegzunehmen:
Depressionen im Sinne einer affektiven Psychose gehen nicht mit einer
erhöhten Krebsinzidenz einher. Dagegen scheint die Neigung zu depressiven
Zuständen, die sich durch Hilf- und Hoffnungslosigkeit auszeichnen,
Entstehung und Verlauf eines Tumorleidens beeinflussen zu können. Im
therapeutischen Umgang mit dem Patienten sollte man deshalb nicht pauschal
auf die Diagnose "Depression" abstellen, sondern die verschiedenen Formen
der Affektregulation unterscheiden und auf die jeweils vorliegende gezielt
eingehen. Die meisten der im folgenden zusammengefassten Überlegungen sind
vorerst spekulativ und müssen durch prospektive Studien bestätigt werden.
Die Vermutung, dass
Depressionen (im Sinne einer Verlustreaktion) die Krebsentstehung fördern
können, war für die psychoonkologische Forschung wegbereitend. Dabei gilt
von Anfang an die Einschränkung, dass Verlust und missglückte Trauerarbeit
generell mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden sind. Dies macht
verständlich, warum bei den Betroffenen auch Krebsleiden häufiger
auftreten. Eine spezifische Ursache von Tumorerkrankungen sind Verlust und
missglückte Trauerarbeit also nicht. Es kommt hinzu, dass weniger der
Verlust pathogen wirkt, als vielmehr die Art, in der der Patient dieses
Ereignis subjektiv verarbeitet.
Depressionen können
sich psychodynamisch unterschiedlich manifestieren. Im Zusammenhang mit
der Krebsentstehung scheinen vor allem "autoaggressive" Verlaufsformen
eine Rolle zu spielen. Deren Kennzeichen sind: innere Unruhe, nach innen
gerichtete Aggressionen, Schuldgefühle, Selbstverachtung und
Selbstwertminderung. Am Ende stehen oft Erschöpfung, Selbstaufgabe sowie
Gefühle der Hilf- und Hoffnungslosigkeit. Die letztgenannten spiegeln den
Verlust persönlicher Autonomie wider. Dabei beschreibt der Begriff
"Hilflosigkeit" das Erleben, nicht mehr die eigene Lebenssituation
beeinflussen und kontrollieren zu können. Der Ausdruck
"Hoffnungslosigkeit" bezieht sich vor allem auf Verlassenheits- und
Verlusterfahrungen. Hoffnungslosigkeit äußert sich unter anderem in einem
Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft sowie in der Unfähigkeit,
zwischenmenschliche Bindungen wieder aufzunehmen.
Beeinflussen Depressionen
den Krankheitsverlauf?
Viele klinische
Beobachtungen weisen darauf hin, dass eine hoffnungsvolle und
"kämpferische" Einstellung lebensverlängernd wirken kann, sofern man als
Vergleichsgruppe verzweifelte oder resignierende Kranke wählt. Für den
Erfolg ist es wichtig, dass der Patient auf die Behandlung vertraut. Die
Prognose ist umso günstiger, je mehr es ihm gelingt, neue
zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und dadurch frühere Verluste zu
ersetzen.
Therapeutische
Schlussfolgerungen
Für den behandelnden
Arzt stellen sich zwei Aufgaben: Zum einen sollte er den Patienten zu
einer aktiven Auseinandersetzung mit seinem Tumorleiden bewegen. Zum
anderen sollte er ihn mit dem Hinweis beruhigen, dass Niedergeschlagenheit
und schlechte Tage normal sind und dass sie den Krankheitsverlauf
nichtnegativ beeinflussen müssen.
Dabei darf das
kämpferische Moment keinesfalls überbetont werden (wozu man in einer Zeit
des "Machbaren" leicht neigt). Diese Warnung gilt besonders für den Umgang
mit hochaktiven (sog. kontraphobischen) Patienten. Sie können sich zwar
ausgezeichnet anpassen, sobald aber eine Situation ausweglos wird, sind
sie außerstande, sich zu fügen, und kapitulieren dann rasch. Ihnen ist
mehr geholfen, wenn sie lernen, auch Schwäche und Hilflosigkeit zu
akzeptieren. Dagegen sollten Kranke, die zum depressiven Rückzug und zur
Autoaggression neigen, ermuntert werden, ihre Aggressionen auf eine aktive
kämpferische Auseinandersetzung mit der Erkrankung zu richten.
Eine feste und
tragfähige Beziehung zum behandelnden Arzt begegnet der Hoffnungslosigkeit
des Kranken und schützt ihn gegen Suizidtendenzen. Wer bereits im
Krankenhaus die Erfahrung macht, gemieden zu werden, wird sich
möglicherweise generell sozial zurückziehen. Umgekehrt fördert es die
Bereitschaft des Patienten, sich aktiv mit seinem Leiden aus einander
zusetzen und die Sozialbeziehungen aufrechtzuerhalten, wenn man ihn von
Anfang an aktiv in die Planung und Durchführung seiner Behandlung
einbezieht.
Die supportive
begleitende Therapie hat die wichtige Aufgabe, das Selbstwertgefühl des
Kranken zu stützen. Dieses ist durch körperliche Schäden,
Funktionseinbußen, den Verlust von Befriedigungsmöglichkeiten und
Rollenveränderungen erheblich bedroht. Das Problem kulminiert in der Frage
"Was bin ich als Kranker überhaupt noch wert?". Der Arzt kann dem
Krebskranken dabei helfen, in Familie und Beruf alte Rolle
aufrechtzuerhalten oder neue zu finden, positive Anteile früherer
Beziehungen als fortbestehend zu erkennen, vorhandene positive innere
Bilder wieder wahrzunehmen und diese vor Entwertungen zu bewahren.
Bei alledem dürfen
unterdrückte und gehemmte Impulse nicht übersehen werden. Enttäuschung
sollte angesprochen, plötzlich durchbrechende Wut toleriert und verstanden
werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Patienten, die durch ihre
kooperative, bescheidene und liebenswürdige Art dazu verleiten, ihre
Bedürfnisse zu übersehen und ihnen die notwendige Zuwendung
vorzuenthalten.
Wenn Krebspatienten
unter schweren depressiven Symptomen leiden, kann eine unterstützende
psychopharmakologische Therapie angezeigt sein. Ähnlich wie bei der
Schmerzbehandlung werden leider auch hier die Möglichkeiten oft
unzureichend ausgeschöpft.
Nicht zuletzt kann eine
offene Kommunikation mit den Angehörigen dazu beitragen, dem Kranken neue
Hoffnung zu geben. Letztere bezieht sich nicht nur auf das Überleben,
sondern auch auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung seiner sozialen
Beziehungen. Die Furcht vor dem "sozialen Tod" (dem Erleben von
Wertlosigkeit und Alleingelassenwerden) ist mitunter größer als die Furcht
vor dem physischen Tod. Sie nimmt oft ab, wenn die Familie die
deprimierende Wirklichkeit des Kranken und seine Trauer teilt. Häufig
findet die Familie dann auch zu neuen und positiven Formen der
Selbstverwirklichung, der Selbstfindung sowie des Erlebens von
Abhängigkeit. Die Einbeziehung der Familien Krebskranker ist so wichtig,
dass sie der Einzelbetreuung gleichgesetzt werden sollte.
Und nicht zu vergessen:
Indem man offen über die Sorgen und Bedürfnisse des Patienten spricht und
seine Lebensplanungen unterstützt, verringert man die soziale
Stigmatisierung dieser Kranken. Außerdem wird es leichter, die
rehabilitativen Möglichkeiten zu nutzen, die zumindest vorübergehend oft
gegeben sind.
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