Bonn. Schon seit
langem sucht man nach „Prädiktoren“ zur Frage, ob ein depressiver Patient
eher auf ein noradrenerg oder eher auf ein serotonerg wirkendes
Antidepressivum ansprechen wird. Diese Hoffnung blieb bis heute unerfüllt,
wie Prof. Dr. M. Gastpar (Essen) auf einem wissenschaftlichen Symposium
der Pharmacia GmbH resümierte. Offenbar hängt die Ansprechbarkeit auf eine
bestimmte Substanz stärker von situativen als von persönlichkeitsbezogenen
Faktoren ab. Bei der saisonalen Depression (SAD = Seasonal Affective
Disorder) ist besonders offensichtlich, dass sie stark von situativen
Momenten beeinflusst wird (wie Jahreszeit, Lichtmangel).
Interessanterweise lässt sich in diesem Fall durchaus vorhersagen, dass
das Krankheitsbild in einem hohen Prozentsatz auf „energetisierende“
Maßnahmen ansprechen wird. Zu den letztgenannten gehören besonders die
Lichttherapie und die Behandlung mit dem selektiv noradrenerg wirkenden
Reboxetin (Edronax®), wie Dr. Angela Stahl (Hamburg) berichtete.
„Wenn ein depressiver
Patient einmal auf ein bestimmtes Antidepressivum gut angesprochen hat,
heißt dies noch lange nicht, dass er dies bei einem späteren Rezidiv mit
Sicherheit erneut tun wird“ erklärte Gastpar. Nach Meinung des Essener
Psychiaters und Klinikchefs gibt es den „serotonergen“ oder „noradrenergen“
Patienten nicht, so sehr man sich dies aus praktischer Hinsicht auch
wünschen mag. Meist kommt man nicht umhin, verschiedene Strategien
auszuprobieren. Dabei kann es durchaus hilfreich sein, sich an bewährten
Richtlinien zu orientieren. So macht es Sinn, ein spezifisch noradrenerg
wirkendes Antidepressivum (wie Reboxetin) auszuwählen, wenn Energiemangel
und kognitive Defizite das klinische Bild besonders prägen. Denn
mangelnder Antrieb und ausgeprägte vegetative Symptome sprechen
erfahrungsgemäß weder auf spezifisch serotonerg wirkende Substanzen noch
auf Psychotherapie zufriedenstellend an.
Restsymptomatik nicht „wegzwingen“
In seinem Beitrag über „Non-Response
bei Depressionen“ warnte Gastpar auch davor, sich übermäßigem Erfolgsdruck
auszusetzen. Besserungsraten von 80 Prozent durch medikamentöse Therapie
seien bereits sehr zufriedenstellende Ergebnisse. Die Restsymptomatik
lasse sich meist nicht „wegzwingen“, da Depressionen teilweise einem
autonomen Verlauf unterliegen. Diesbezüglich biete es sich an, den
Patienten durch Psychotherapie über die mitunter vier- bis sechsmonatige
„Durststrecke“ hinwegzuhelfen, bis die verbliebene Symptomatik spontan
abklinge.
Non-Response auf ein
Antidepressivum kann viele Ursachen haben. Zu ihnen gehört die
Non-Compliance, die sich bei den oft „folgsamen“ Depressiven eher seltener
(30 Prozent) finde als beim Durchschnitt aller Kranken (50 Prozent).
Non-Compliance bietet immer Anlass, die Qualität des
Arzt-Patienten-Verhältnisses zu überprüfen. Denn aufgeklärte Patienten
berichten von sich aus, was sie tun und unterlassen, so dass
Non-Compliance bei guter Aufklärung oft kein Thema ist. Zu den
„technischen“ und relativ gut beeinflussbaren Ursachen von Non-Response
zählte Gastpar auch die ungenügende Behandlungsdauer. Hier steht die
Ungeduld des Patienten („Es muss endlich etwas passieren“) dem Trend
gegenüber, die zur Beurteilung der Response erforderliche Behandlungsdauer
immer mehr auszudehnen. Zur Frage, ob noradrenerg wirkende Substanzen
rascher wirken, gibt es zwar keine Studien, die dies belegen. Aus der
Praxis wird ein solcher Effekt jedoch immer wieder mitgeteilt. Wenn
klinische Studien über schnelle Ansprechraten berichten, kann dies
teilweise damit zusammenhängen, dass die beteiligten Patienten oft massiv
vorbehandelt sind und daher schneller zur Response neigen.
Entfaltet ein
Antidepressivum nicht den erhofften Effekt, eröffnen sich nach Ansicht
Gastpars zwei Hauptstrategien: 1. Bei nur partieller Response sollte man
nicht unbedingt auf ein anderes Antidepressivum wechseln. Dies würde einen
unnötigen Verzicht auf einen Teilerfolg bedeuten. Außerdem müsste der
Patient in zeitlicher Hinsicht ganz von vorne beginnen. In solchen
Situationen erscheint eher eine Augmentation (Wirkungsverstärkung durch
eine nicht-spezifisch antidepressive Substanz) oder die Kombination mit
einem zweiten Antidepressivum angezeigt. Zur Augmentation kommen u.a.
Stimulanzien, Schilddrüsenhormone, Lithium und 5-HTA1-Rezeptor-Antagonisten
in Betracht. Zu den Vorteilen der Augmentation gehören eine 50-prozentige
Ansprechrate und ein relativ rascher Wirkungseintritt. 2. Bei kompletter
Non-Response ist dagegen auf ein Antidepressivum mit anderem Wirkprinzip
zu wechseln.
Warum Aktivierung bei schweren
Depressionen hilft
Kritisch äußerte sich
Gastpar zu der „mitteleuropäischen Ansicht“, dass bei suizidalen Patienten
eine sedierende Therapie indiziert sei. Da Suizidalität in aller Regel
Ausdruck einer schweren Depression ist, komme es weniger auf eine
Sedierung als vielmehr auf eine besonders effiziente Depressionsbehandlung
an. So erkläre sich, warum in anderen Kulturkreisen (wie den
angelsächsischen und skandinavischen Ländern) in solchen Situationen
eindeutig aktivierende Maßnahmen (wie Elektrokrampftherapie) zum Zuge
kommen.
SAD: Energetisierung mittels Licht und
Edronax®
Wie Dr. Angela Stahl
erläuterte, profitieren Patienten mit einer saisonal abhängigen Depression
(engl. Seasonal Affective Disorder = SAD) besonders von energetisierenden
Maßnahmen. Diese (atypische) Form der Depression wird in Deutschland
offenbar noch viel zu selten erkannt, obwohl in nördlichen Breiten 10 bis
25 Prozent aller Depressionen ein jahreszeitliches Muster aufweisen. Nicht
nur die charakteristischen Symptome Hypersomnie, Hyperphagie und
Gewichtszunahme deuten an, dass der SAD eine Energieregulationsstörung
zugrunde liegt. Auch die in solchen Fällen besonders erfolgreichen
Behandlungsmaßnahmen, wie Lichttherapie und Gabe von Reboxetin (Edronax®),
stützen die Hypothese. Dabei zeigen erste Ergebnisse einer von Dr. Stahl
an 40 SAD-Patienten durchgeführten Studie, dass Lichttherapie nur so lange
wirkt, wie sie angewendet wird. Bei Kranken, die zusätzlich Reboxetin
erhielten, besserten sich dagegen die SAD-Kernsymptome Hypersomnie und
Hyperphagie dauerhaft.
Nach Beiträgen des
wissenschaftlichen Symposiums „Non-Response bei Depressionen“,
veranstaltet von der Pharmacia GmbH (Erlangen) am 05.05.2001 in Bonn.
Leitung: Dr. Franz-Josef Roters (Erlangen) und Dr. Peter Schüler
(Mannheim) |