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Verantwortungsvoll mit Antidementiva umgehen

von Dr. Dr. med. Herbert Mück, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin (Wissenschaftsjournalist), Köln

Vorbemerkung: In seiner Ausgabe vom 9. August 2004 befasste sich das Magazin DER SPIEGEL unter dem Titel „Pillen zum Vergessen“ auf teilweise eklatant unsachliche Weise mit Nutzen und Risiken moderner Antidementiva („Meiner Oma würde ich die Mittel nicht geben“). Unter anderem bespricht der Beitrag sehr einseitig eine neuere Donepezil-Studie. Zugleich schürt der Autor Emotionen, die mit der wirtschaftlich schwierigen Situation des deutschen Gesundheitswesen zusammenhängen. Eine derartige „Berichterstattung“ erscheint unethisch und verlangt eine Stellungnahme.

Vertrauen Demenz-Kranker stärken

Jede (!) medizinische Behandlung verfolgt immer auch das Ziel, realistische Hoffnungen beim Patienten zu wecken. Ohne „Genesungsbereitschaft“ auf seiner Seite können auch die besten Medikamente versagen. Es ist daher unethisch, eine nachweislich wirksame Behandlungsmaßnahme ins Lächerliche zu ziehen, nur weil ihre Wirkung Grenzen hat. Unter diesem Gesichtspunkt müssten viele onkologische Patienten auf Chemotherapeutika verzichten, weil diese im Durchschnitt mitunter das Leben nur um wenige Monate verlängern (gleichzeitig aber immer starke Nebenwirkungen haben). Es kommt hinzu, dass fast alle Arzneimittel Ansprechraten aufweisen, die weit unter 100 Prozent liegen. Deshalb ist es – nicht nur bei Antidementiva! – wichtig, sowohl nach einer ausreichenden Testphase, als auch im weiteren Behandlungsverlauf immer wieder konsequent die „Response“ zu überprüfen. Wer den Nutzen eines Medikamentes über Gebühr klein redet und gleichzeitig Nachteile dramatisiert, fördert zudem einen „Nozebo-Effekt“, der dem des Plazebo-Effekts selten an Wirkung nachsteht. Gleichzeitig wird meist zusätzliches Porzellan zerschlagen, weil die Patienten künftig nicht nur der Behandlungsmaßnahme, sondern auch dem verordnenden Arzt misstrauischer begegnen. Dies kann zu Lasten der weiteren Compliance gehen. Demenz-Kranke sterben zwar nicht sofort einen physikalischen Tod, oft aber sehr schnell einen sozialen und ihre Persönlichkeit betreffenden. Warum sollte man ihnen nicht die gleiche „Hoffnung auf mehr Leben“ (insbesondere auf eine verlängerte Lebensqualität!) gewähren wie einem Krebskranken?

Nicht an den Schwächsten sparen

Chronische Erkrankungen kosten die Gesellschaft besonders viel Geld. Dabei sind die Tageskosten der medikamentösen Therapie Alzheimer Kranker keineswegs größer als diejenigen anderer chronischer Leiden (wie Parkinson, chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen, Rheuma), bei denen ebenfalls meist nur eine Schadensbegrenzung möglich ist. Im Gegensatz zu vielen anderen chronisch Kranken sind Alzheimer-Patienten aufgrund ihres Leidens jedoch kaum noch in der Lage, sich öffentlich zu wehren. Bei ihnen setzt der Sparstift daher besonders schnell an, zumal das Krankheitsbild vermehrt mit fatalistischen und Resignation fördernden Assoziationen verknüpft ist („unaufhaltsame Alterserscheinung“). Im Gegensatz etwa zur Diagnose „Krebs“ provoziert das Etikett „Demenz“ meist deutlich weniger „Kampfeswillen“ und gesellschaftliches Engagement. Und nicht zuletzt: Wer glaubt, am Medikament sparen zu können, denkt kurzfristig. Denn Antidementiva wie Donepezil entlasten die Bezugspersonen nachweislich (weniger Betreuungsstunden pro Woche) und schieben die Notwendigkeit eines dann sehr viel teureren Heimaufenthaltes um viele Monate hinaus. Demgegenüber riskieren Beiträge wie der zitierte SPIEGEL-Artikel, dass Demenz-Kranke und ihre Angehörigen Schuldgefühle entwickeln, weil sie möglicherweise zu Lasten der Allgemeinheit Gelder „verschwenden“.

Evidenz-basiertes Wissen akzeptieren und Regeln wissenschaftlichen Disputs einhalten

Der eingangs zitierte Artikel ist ein Muster unausgewogener Berichterstattung. Aus der Fülle wissenschaftlicher Untersuchungen greift er eine einzige heraus, um anhand ihrer Ergebnisse den durch viele andere Studien belegten Nutzen eines Medikamentes in Frage zu stellen. Wer so vorgeht, müsste heute auch so uneingeschränkt anerkannte Arzneimittel wie Aspirin® (Acetylsalicylsäure) aus der Medizin verbannen. Denn auch zu Acetylsalicylsäure gibt es in den Hauptindikationen vereinzelte Untersuchungen, in denen die Substanz Plazebo nicht überlegen war. Erst die Gesamtbetrachtung aller Forschungsergebnisse führte dazu, dass Acetylsalicylsäure heute zu den „unverzichtbaren Arzneimitteln“ (WHO) zählt. Es ist daher unredlich, wenn Zeitschriften wie DER SPIEGEL eine einzelne und mittlerweile auch methodisch umstrittene Studie herausgreifen, ohne diese im Rahmen aller vorliegenden Daten zu diskutieren und dabei auf Vergleichbarkeit zu achten. Nach reiner Rhetorik klingt auch der Hinweis, dass Donepezil in Holland nicht zugelassen ist. Er blendet aus, dass zahlreiche nicht weniger kritische Zulassungsbehörden (z. B. in den USA, Kanada und Großbritannien) diesen Schritt bewusst vollzogen haben. Ähnliches gilt für die Infragestellung der von der Universität Witten/Herdecke erstellten Leitlinien. Der Zweifel an der Validität dieses Dokuments erweckt zu Unrecht den Eindruck, dass deutsche Forscher nachlässig arbeiten. Auch hier wird verschwiegen, ignoriert oder schlichtweg nicht gewusst, dass mindestens dreizehn (!) weitere überwiegend internationale Demenz-Leitlinien in Acetylcholinesterasehemmern mittlerweile den „Goldstandard der Demenz-Behandlung“ sehen (Müller et al. 2003).

    Der pauschalisierende Hinweis auf Studienergebnisse der AD2000 Colloborative Group kann auch aus weiteren Gründen nicht unkommentiert bleiben. Die Angabe, dass nach drei Jahren weder eine Verzögerung der Heimeinweisung noch Alltagserleichterungen zu verzeichnen waren, ist genau so wenig informativ wie eine lapidare Feststellung der Art, dass trotz Chemotherapie nach drei Jahren doch alle Tumorpatienten verstorben seien. Beide „Resümees“ blenden den zwischenzeitlichen Verlauf aus. Für Donepezil-Patienten zeigten sich nämlich durchaus bedeutsame Vorteile einer medikamentösen Behandlung. So wurden zum Beispiel nach einem Jahr unter Plazebo fast 50 Prozent mehr Patienten in ein Heim aufgenommen als unter Donepezil (14 Prozent gegenüber 9 Prozent). Außerdem entwickelten sich kognitive Leistungen und funktionelle Fertigkeiten unter Donepezil in den ersten beiden Behandlungsjahren signifikant günstiger.

    Nicht zuletzt vermittelt der SPIEGEL-Beitrag ein verzerrtes Bild der Nutzenbewertung von Antidementiva. Deren Beurteilung erschöpft sich eben keineswegs – wie suggeriert - in einzelnen Gedächtsnistests, sondern legt außerdem größten Wert auf Alltagsrelevanz, Lebensqualität, Verhaltensbesserung, Betreuerentlastung und Wirtschaftlichkeit.

    Ins Gesamtbild der SPIEGEL-Berichterstattung passt, dass sich mittlerweile sowohl die Deutsche Alzheimer Gesellschaft als auch das Kompetenznetz Demenzen vehement gegen Inhalte des SPIEGEL-Artikels ausgesprochen haben. Dabei wurde u. a. kritisiert, dass die im SPIEGEL zitierten Wissenschaftler ihre erwähnten eigenen Untersuchungen nicht veröffentlicht haben und mangels Legitimation auch nicht für das Kompetenznetz Demenzen sprechen konnten. Es bleibt zu hoffen, dass unsere Medien aus dieser Panne lernen und das Vertrauen von Demenz-Patienten in moderne Antidementiva erhalten, statt es ungerechtfertig zu erschüttern.

Literatur und Quellen: U. Müller et al.: Nationale und internationale Demenz-Leitlinien im Vergleich. Fortschr. Neurol. Psychiat. 2003 (71) 285-295; AD2000 Collaborative Group: Long-term Donepezil treatment in 565 patients with Alzheimer´s disease (AD2000): randomised double-blind trial. Lancet 2004 (363) 2105-2115; Pressemitteilung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft vom 17.08.2004 („Die Wahrheit über Antidementiva?“); Pressemitteilung des Bundesverbands Deutscher Nervenärzte vom 23.08.2004 (“Nervenärzte waren vor der Verschlechterung der Versorgung bei Alzheimer-Patienten”);