Italien. Seit wenigen
Jahren macht ein neues Syndrom in der Parkinson-Behandlung von sich reden:
die hedonistisch homöostatische Dysregulation (HHD). Bis zu vier Prozent
aller Parkinson-Kranken, die eine Dopamin-Ersatztherapie erhalten,
scheinen betroffen zu sein. Leitsymptom ist die Neigung der Kranken, die
Dopamin- bzw. Dopaminagonisten-Dosis kontinuierlich zu steigern, so die
Stimmung zu verbessern und dabei das Maß des Notwendigen und Verträglichen
deutlich zu überschreiten. Weder massive Dyskinesien noch soziale oder
berufliche Schwierigkeiten sind in der Lage, die Patienten zu einem
moderateren Arzneimittelgebrauch zu bewegen. In ihrem Verhalten fallen die
Kranken durch pausenloses Umherwandern, Stereotypien, heimliches Horten
von Parkinson-Medikamenten, affektive Störungen, Glücksspielsucht,
zwanghaftes Einkaufen, Hypersexualität, Aggression und sozialen Rückzug
auf. Mit diesen und weiteren Charakteristika von HHD-Patienten
beschäftigen sich in neuerer Zeit gleich zwei Studien.
Einer Untersuchung
von J. Bearn und Kollegen zufolge, scheinen die meisten HHD-Betroffenen
die Kriterien einer Sucht nach DSM IV zu erfüllen. Überproportional viele
haben schon vor Beginn des Parkinson-Leidens Suchtmittel eingenommen
(Alkohol, Cannabis, Stimulanzien, Opiate). Die am meisten auffallende
Gemeinsamkeit ist jedoch das Auftreten starker Unlustgefühle, sobald die
Wirkung der Dopamin-Ersatzmedikation nachlässt, und die Besserung dieses
Erlebens nach erneuter Einnahme dopaminerger Substanzen. Zu diesen
Schlussfolgerungen gelangen die Autoren aufgrund eines Vergleichs von 10
HHD-Parkinson-Kranken mit 10 „normalen“ Parkinson-Patienten.
Krankheitsdauer und Krankheitsschwere waren in beiden Gruppen ähnlich.
HHD-Patienten zeichneten sich durch folgende weitere Besonderheiten aus:
Signifikant mehr Teilnehmer dieser Gruppe berichteten darüber, unbehandelt
unter Ängsten zu leiden. Die Angst bezog sich auf die Möglichkeit, von
einem „Freezing“ überrascht zu werden und so außerstande zu sein, an die
erforderlichen Medikamente zu kommen. Während kein einziger der
Kontroll-Patienten nach Einnahme dopaminerger Medikamente eine
Stimmungsverbesserung registrierte, war dies bei 9 von 10 HHD-Patienten
der Fall. Drei von ihnen fühlten sich nach exzessivem Gebrauch solcher
Substanzen sogar euphorisch. Doppelt so viele HHD-Betroffene als
Kontroll-Personen räumten offen ein, mehr Arzneimittel einzunehmen, als
ihnen verordnet worden war. Während nur einziger Kontroll-Patient einen
negativen Effekt der dopaminergen Medikation beschrieb (Partnerschaftsdysharmonie),
berichteten sieben HHD-Patienten gleich über mehrere Probleme. So kam es
in fünf Fällen zu sozialem Rückzug, in einem Fall zu körperlichen
Verletzungen (als Folge der Dyskinesie), in sieben Fällen zu ungezügeltem
Verhalten (Sexualität, Einkaufen, Essen), in vier Fällen zu aggressivem
Verhalten und in drei Fällen zu Partnerschaftsproblemen. In ihrem Resümee
diskutieren Pezella und Kollegen, inwieweit es Sinn macht, von
„hedonistisch homöostatischer Dysregulation (HHD)“ statt von „Sucht“ zu
sprechen. Für die neutraler klingende Bezeichnung HHD spreche, dass sie
Patienten und Angehörige weniger unter Druck setzt und ihnen die Sorge
nimmt, von Ärzten negativ beurteilt zu werden. Dagegen dürfte es leichter
fallen, die Betroffenen gezielt zu behandeln und die Forschung in die
richtige Richtung zu lenken, wenn man das Syndrom als „Sucht“ bezeichnet.
Kriterien einer hedonistisch homöostatischen
Dysregulation (HHD) nach Bearn u. a. 2005
(a)
Klinische Diagnose einer
Parkinson-Erkrankung mit nachgewiesenem Ansprechen auf L-Dopa
(b)
Verlangen nach Dosissteigerungen
der Dopamin-Ersatzmedikamente, die weit über das hinausgehen, was zur
Kontrolle der motorischen Symptome erforderlich ist
(c)
Ein pathologisches
Anwendungsmuster, bei dem die Patienten trotz schwerster
Verhaltensstörungen und medikamentös ausgelöster Dyskinesien fortfahren,
dopaminerge Substanzen in großer Menge einzunehmen
(d)
Beeinträchtigtes Funktionieren
im sozialen oder beruflichen Bereich
(e)
Bei verringerter Einnahme
dopaminerger Substanzen Entwicklung eines Entzugssyndroms, das sich durch
Verstimmung und Angst auszeichnet.
Pezella und Mitarbeiter
bestätigen in einer prospektiven Studie die eingangs bereits erwähnte
HHD-Prävalenz von bis zu 4 Prozent aller medikamentös behandelten
Parkinson-Kranken. Bei 202 Parkinson-Patienten ihrer Klinik hatten sie
systematisch typische HHD-Kriterien erfragt. Letztere trafen auf insgesamt
sieben Patienten zu (3,4 Prozent). Im zweiten Teil ihrer Untersuchung
verglichen die Autoren die sieben HHD-Betroffenen mit 32 „normalen“
Parkinson-Kranken, wobei sich Krankheitsdauer und das Patientenalter bei
Krankheitsbeginn in beiden Gruppen entsprachen. Der Vergleich ergab, dass
HHD-Patienten zuvor häufiger unter affektiven Störungen gelitten hatten,
zur Behandlung häufiger Dopaminagonisten einnahmen und in der
Familienanamnese vermehrt psychiatrische Erkrankungen aufwiesen. Pezella
und Kollegen vermuten daher, dass eine entsprechende Prädisposition zur
HHD-Entwicklung beiträgt. Sie betonen, dass die HHD-Symptomatik sehr stark
einer Kokain- und Amphetamin-Abhängigkeit ähnelt, bei der ebenfalls durch
Dopamin vermittelte Mechanismen eine Rolle spielen. Wie eine erneute
Befragung von sechs der sieben HHD-Patienten nach 12 Monaten zeigte, war
immerhin die Hälfte der Betroffenen zu einer normalen Medikationsmenge
zurückgekehrt. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass die Betreuer in
die Behandlung einbezogen worden waren und auf eine striktere Compliance
geachtet wurde.
F.
R. Pezella u. a.: Prevalence and clinical features of hedonistic
homeostatic dysregulation in Parkinson´s disease. Movement Disorders 2005
(20) 77-81; J. Bearn u. a.: Recognition of dopamine replacement therapy
dependence syndrome in Parkinson´s disease: a pilot study. Drug and
Alcohol Dependence 2004 (76) 305-310 |